Reaktorsysteme der Zukunft: Strom für übermorgen
Reaktorsysteme der Zukunft Strom für übermorgen
Für morgen stehen die kleinen, modularen Reaktoren (Small Modular Reactors, SMRs) in den Startlöchern, von denen auch schon die ersten Prototypen und Demonstrationsanlagen in Bau oder sogar in Betrieb sind. Siehe Multimedia-Dossier «Small Modular Reactors – Vielfältige Entwicklungen mit neuer Dynamik».
Bereits arbeiten Wissenschaftler an den Reaktoren für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts, den sogenannten Reaktoren der vierten Generation.
Die vierte Generation
Die vierte Generation
- gasgekühlten Schnellen Reaktoren (Gas-cooled Fast Reactors, GFR),
- natriumgekühlten Schnellen Reaktoren (Sodium-cooled Fast Reactors, SFR).
- bleigekühlten Schnellen Reaktoren (Lead-cooled Fast Reactors, LFR),
- Salzschmelze-Reaktoren (Molten Salt Reactors, MSR),
- überkritischen wassergekühlten Reaktoren (Super-Critical Water-cooled Reactors, SCWR) sowie die
- Ultrahochtemperatur-Reaktoren (Very-High
Temperature Reactor, VHTR).
Informationen zum «Generation IV International Forum» finden sich auf: www.gen-4.org
Gas-cooled Fast Reactor (GFR):
Gas-cooled Fast Reactor (GFR):
Lead-cooled Fast Reactor (LFR):
Lead-cooled Fast Reactor (LFR):
Sodium-cooled Fast Reactor (SFR):
Sodium-cooled Fast Reactor (SFR):
Molten Salt Reactor (MSR):
Molten Salt Reactor (MSR):
Supercritical Water-cooled Reactor (SCWR):
Supercritical Water-cooled Reactor (SCWR):
Very High Temperature Reactor (VHTR):
Very High Temperature Reactor (VHTR):
Technologie für übermorgen
Technologie für übermorgen
Auch China, Indien und Japan wollen in Zukunft Schnelle Reaktoren der vierten Generation einsetzen.
China: Kugeln statt Rohre
China: Kugeln statt Rohre
Diese vor mehr als fünfzig Jahren in Deutschland erprobte Reaktorauslegung verfügt über eine Reihe besonderer Eigenschaften. In herkömmlichen Leichtwasserreaktoren, wie sie derzeit in der Schweiz in Betrieb stehen, ist der Kernbrennstoff in dünne, mehrere Meter lange Rohre eingefüllt, die zu Brennelementen gebündelt werden. Im Kugelhaufenreaktor dagegen hat der Kernbrennstoff die Form von tennisballgrossen Kugeln. Diese Kugeln sind mehrschichtig aufgebaut. Das Kernstück bilden die sogenannten Triso-Elemente (tristructural-isotropic fuel), winzige Kügelchen von rund einem Millimeter Durchmesser. Im Kern befindet sich der Brennstoff Urandioxid (UO₂). Der Brennstoffkern wird zunächst mit mehreren Schichten Grafit (Kohlenstoff) ummantelt. Das Grafit wirkt als Puffer zum Ausgleich von Volumenänderungen als Folge der Bildung neuer Elemente durch die Kernspaltung. Sonst könnten die Kügelchen aufbrechen. Darüber wird eine chemisch sehr widerstandsfähige Schutzschicht aus feuerfestem Siliziumkarbid aufgetragen und nochmals eine Schicht aus besonders dichtem Grafit. Damit ist sichergestellt, dass die radioaktiven Spaltprodukte zuverlässig eingeschlossen bleiben.
Zusammengepresst zu Tennisball
Diese gut geschützten Kügelchen werden in einem weiteren Produktionsschritt mit Grafitpulver gemischt und zu einer etwa tennisballgrossen Kugel gepresst. Schliesslich werden sie nochmals mit einer Grafitschicht ohne Brennstoff überzogen. Das Grafit, in das die Kügelchen eingebettet sind, wirkt – zusammen mit dem Reflektor an der Reaktorwand – als Moderator zum Abbremsen der Neutronen, damit es überhaupt zu Kernspaltungen kommt. So entsteht ein Kernbrennstoff, der auch bei den denkbar höchsten Temperaturen im Reaktor intakt bleibt.
Das grundlegende Verfahren zur Herstellung dieses Brennstoffs ist in Deutschland entwickelt und danach von den Entwicklungsingenieuren in China übernommen worden. Die praktischen Erfahrungen mit diesem Brennstoff in den Versuchsreaktoren in Deutschland und Tests mit chinesischen Kugeln im niederländischen Forschungszentrum Petten haben gezeigt, dass – wenn bei Herstellung und Betrieb die Qualitätsrichtlinien eingehalten werden – dieser Brennstoff einen ausgezeichneten Schutz gegen das Freisetzen radioaktiver Stoffe bietet – auch und gerade bei einem schweren Störfall. Der Nachteil dieser extrem soliden Verpackung ist, dass die Wiederaufarbeitung zum Rezyklieren des Brennstoffs entsprechend aufwendiger ist bzw. bei gleicher Menge radioaktiver Stoffe ein vergleichsweise grosses Abfallvolumen entsteht.
Flexibel, modular, erweiterbar
Der HTR-PM ist ein modulares System, das je nach Bedarf zu Gruppen von 200 Megawatt (zwei Reaktoreinheiten) bis 600 Megawatt zusammengesetzt werden kann – der Standardanlage HTR-PM600 mit sechs Reaktoren und einer einzigen Turbogeneratorgruppe. Zwei solche Anlagen ergeben zusammen eine Leistung vergleichbar mit Leibstadt, dem grössten Kernkraftwerk der Schweiz. Neben China sind derzeit nur die USA bei Kugelhaufenreaktoren aktiv. Dort unterstützt das Energieministerium zum Beispiel die Entwicklung des Xe-100 der Firma X-energy mit einer elektrischen Leistung von 35 Megawatt.
Forschungsprogramm der EU
Das grösste und ambitionierteste EU-Projekt, der natriumgekühlte Schnelle Reaktor namens «Astrid» (Advanced Sodium Technological Reactor for Industrial Demonstration), musste jedoch im Jahr 2019 eingestellt werden, da die damaligen tiefen Preise für Natururan dem vollständigen Recycling des Brennstoffs entgegenstanden.
Noch laufende Projekte umfassen die Entwicklung eines bleigekühlten Schnellen Reaktors («Alfred») und eines gasgekühlten Schnellen Hochtemperatur-Reaktors («Allegro»). Zudem wird im belgischen Mol ein multidisziplinärer Forschungsreaktor («Myrrha») für innovative Lösungen etwa zur Behandlung radioaktiver Abfälle oder zur Entwicklung fortgeschrittener Reaktorsysteme gebaut. Beim «Myrrha» kommt ein externer Beschleuniger zum Einsatz (ADS, Accelerator Driven System). Diese Technologie nutzt auch das Genfer Startup Transmutex.
«Atommüllfresser» made in Switzerland
Mehr dazu: www.transmutex.com
TMX-START
TMX-START
Unterkritisch bedeutet, dass der TMX-START nicht selbständig in der Lage ist, eine Kettenreaktion aufrechtzuerhalten. Es braucht die Neutronen aus dem Teilchenbeschleuniger, damit in einem Brutprozess aus dem Thorium-232 das Uran-233 entsteht, welches dann unter Freisetzung von Energie gespalten wird. Somit stoppt bei einem Unterbruch der Stromzufuhr automatisch der Neutronenfluss, was wiederum die Abschaltung des Reaktors selbst innert Millisekunden zur Folge hat. Dieser automatische Unterbruch der Kernspaltung bei einem Ausfall der internen oder externen Energieversorgung bedeutet ein hohes Mass an passiver Sicherheit. Durch die Flüssigmetallkühlung kann zudem die Nachzerfallswärme wirkungsvoll abgeführt werden und Wasserstoffexplosionen sind nicht möglich.
Im Vergleich zu einem Kernreaktor, der mit Uran betrieben wird, haben die Abfälle aus dem Thoriumreaktor eine viel kürzere Lebensdauer von Hunderten von Jahren anstelle von Hundertausenden von Jahren. Auch die Menge ist viel kleiner: «Wir sprechen hier von einigen Kilogramm statt von Tonnen», erklärt Federico Carminati, Chief Technolgy Officer und Mitbegründer von Transmutex. Der Thoriumkreislauf hätte auch den Vorteil, dass er die Verbreitung von Atomwaffen verhindert. Der Thoriumreaktor kann auch mit radioaktiven Abfällen aus bestehenden Kernkraftwerken betrieben werden. In einem Prozess, der Transmutation heisst, werden dabei die gefährlichsten und langlebigsten Abfallbestandteile unter Neutronenbeschuss in kurzlebigere Abfälle umgewandelt. «Dies könnte das Problem der Anhäufung und Lagerung hochradioaktiver Abfälle lösen», so Federico Carminati.
Kleine, modulare Reaktoren (SMRs) der Generation IV
Kleine, modulare Reaktoren (SMRs) der vierten Generation
Kleine, modulare Reaktoren (SMRs) der vierten Generation
Die fortgeschrittenen kleinen, modularen Reaktoren der vierten Generation verwenden im Gegensatz zu denjenigen der dritten Generation (siehe Multimedia-Faktenblatt «Small Modular Reactors – Vielfältige Entwicklungen mit neuer Dynamik») neuartige Kühlsysteme und/oder Brennstoffe. Die innovativen Reaktorkonzepte sind teilweise schon seit Jahren bekannt. Die fortgeschrittenen SMRs können Strom, Wärme und Wasserstoff liefern und sollen Vorteile hinsichtlich Brennstoffkreislauf (weniger Abfälle) bieten. Einige erfordern noch Forschung, neue Materialien oder neue Arten von Brennstoffen. Ihre Markteinführung könnte in den 2040er-Jahren erfolgen.
Xe-100 der Generation IV von X-energyGasgekühlter Hochtemperaturreaktor mit Brennstoff aus der eigenen Fabrik
Im Mai 2023 hat X-energy bekanntgegeben, dass vier Xe-100 als Demonstrationsanlage für das Chemieunternehmen Dow errichtet werden sollen. Dazu wurde der Dow-Produktionsstandort UCC Seadrift Operations an der amerikanischen Golfküste in Texas ausgewählt. Mit dem Bau der Anlage soll 2027 begonnen werden und sie wird voraussichtlich gegen Ende der 2020er-Jahre betriebsbereit sein. Auch in Grossbritannien möchte X-Energy seine SMR-Auslegung vorlizenzieren lassen. Zudem arbeitet das Unternehmen mit der kanadischen Ontario Power Generation (OPG) zusammen. Durch die effiziente Kombination von Hochtemperaturdampf- und Stromerzeugung kann der Xe-100 gemäss OPG die Schwerindustrie, einschliesslich Ölsandbetriebe, Bergbauanwendungen und andere industrielle Prozesse, direkt unterstützen.
Video 1 und Video 2 zum Xe-100 von X-Energy
Den Brennstoff für seine Reaktoren und weitere fortgeschrittene Reaktoren will X-energy ab 2025 in seiner Triso-X Fuel Fabrication Facility (TF3) herstellen, die in Oak Ridge, Tennessee (USA), in Bau ist.
Mehr dazu: x-energy.com
Natrium-SMR der Generation IV von TerraPowerIdeal für den Ersatz von stillzulegenden Kohlekraftwerken geeignet
Die Firma, bei der Bill Gates einer der Hauptinvestoren ist, plant eine Demonstrationsanlage seines Natrium-SMR in Kemmerer im amerikanischen Bundesstaat Wyoming. Dort soll ein stillzulegendes Kohlekraftwerk ersetzt werden. Der SMR benötigt High-Assay Low-Enriched Uranium (Haleu) als Brennstoff. Haleu ist bis zu 20% mit spaltbaren Uran-235 angereichert. Ende 2022 machte TerraPower auf einen Mangel an Haleu infolge des Ukrainekriegs aufmerksam und gab eine Projektverzögerung von zwei Jahren bekannt. Die Inbetriebnahme sollte ursprünglich bis 2030 erfolgen, wird sich aber dadurch verzögern. TerraPower plant den Antrag auf Baugenehmigung für die Demonstrationsanlage im Jahr 2023 und den Antrag auf Betriebsgenehmigung im Jahr 2026 einzureichen.
Mehr dazu: natriumpower.com
(Video: TerraPower)
Kombinationen verschiedener Konzepte
Kombination verschiedener Konzepte
Die Technologie kombiniert somit die passiven Sicherheitsmerkmale des mit Blei gekühlten Schnellen Reaktors (LFR) mit denen des Salzschmelze-Reaktors (MSR). Für zusätzlichen Schutz sorgen integrierte Schmelzstopfen in den Leitungen: Wenn die vorgesehene Temperatur doch überschritten wird, lösen sie sich auf. Dann läuft der Brennstoff nach unten in sichere Behälter ab und die Kettenreaktion stoppt sofort. Durch seine geringe Grösse kann der Reaktor ausserdem in einem unterirdischen Betonbunker sicher untergebracht werden. Mehrere Einheiten lassen sich zu einem Grosskraftwerk kombinieren, was den Dual-Fluid-Reaktor wiederum zu einem kleinen, modularen Reaktor (SMR) macht.
Mehr dazu: www.dual-fluid.com
Fazit
Fazit
Wie die heute in Betrieb stehenden Kernkraftwerke haben sie das Potenzial, zur Dekarbonisierung der Wirtschaft und zum Kimaschutz beizutragen.
Weitere Informationen
Generation IV International Forum (GIF)
Das GIF will die bi- und multilaterale Zusammenarbeit bei der Entwicklung neuer nuklearer Energiesysteme erleichtern.
Sustainable Nuclear Energy Technology Platform (SNETP)
Die Technologieplattform für nachhaltige Kernenergie (SNETP) ist eine Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsplattform, die den sicheren, zuverlässigen und effizienten Betrieb der zivilen Nuklearsysteme unterstützt und fördert, indem sie die Zusammenarbeit zwischen ihren Mitgliedern erleichtert.
Nuklearforum Schweiz
Das Nuklearforum Schweiz setzt sich für die friedliche Nutzung und weitere Entwicklung der Kernenergie in der Schweiz ein. Wir berichten über die neuesten Innovationen und Entwicklungen der Kernenergie weltweit.